Kann Griechenland noch vor dem Staatsbankrott gerettet werden?

20. Mai 2010

Das hängt davon ab.  Prognosen sind immer schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen. Darum ist es viel sinnvoller, zu durchdenken, an was man glauben muss, damit Griechenland einen Staatsbankrott abwenden kann. Und um sich zu verdeutlichen, woran man glauben muss, hilft eine Modellierung der notwendigen Annahmen (Details dazu hier).

Wovon hängt es ab, ob Griechenland seine Schulden noch zahlen kann?

Im wesentlichen und stark aggregiert hängt die Wahrscheinlichkeit des Staatsbankrotts von drei Faktoren ab:

  1. Den Zins, den Griechenland für seine Schulden auf dem Kapitalmarkt zahlen muss, da dies ein enormer Kostenblock ist, der sich kaum verändern läßt
  2. Wie stark die Wachstumseinbußen sind, die durch diese Konsolidierung verursacht werden
  3. Wie schnell und in welchem Ausmass Griechenland es schafft, sein Haushaltsdefizit zu verringern

Die Ausgangssituation der griechischen Haushaltsökonomie ist gleichermaßen bekannt wie verheerend. Die Staatsverschuldung liegt bei 115,1% des BIP, das Haushaltsdefizit bei 13,6% des BIP und das BIP ist in 2009 um 2,6% zurückgegangen und in Q1/2010 um 2,3% (Quelle: Eurostat).

Was muss man glauben?

Zinsen: Der aktuelle Zins auf 1ßjährige griechische Staatsanleihen ist ungefähr 7,5%. Die zukünftige Entwicklung hängt im wesentlichen vom Vertrauen in die griechische Konsolidierung ab und ist somit ein gewisser Zirkelschluss. Da EU, IWF und EZB gewillt sind, alles zu unternehmen, um den Bankrott zu verhindern, nehme ich mal an, dass sich dieser Zins bis 2016 bei 6% einpendeln wird. Angesichts der aktuellen Höhe und der verbreiteten Skepsis auf den Märkten eine eher optimistische Annahme.

Wirtschaftswachstum: Soll das langfristige Staatsschulden/BIP-Ratio konstant bleiben, darf sich Griechenland nur ein Haushaltsdefizit in Höhe der Wachstumsrate erlauben. Darum nehme ich wiederum optimistischerweise an, dass sich das Wachstum von aktuell -2,6% graduell bis 2016 auf 3% p.a. steigern lassen wird. Dies ist insbesondere deshalb fast schon übertrieben optimistisch, weil das aktuell notwendige Konsolidierungsprogramm negative Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum haben dürfte, ich aber in jedem Jahr eine kontinuierliche Verbesserung annehme.

Haushaltskonsolidierung: Bei den Annahmen über Zinsen, Wachstum und der notwendigen Haushaltskonsolidierung hat sich die das Schulden/BIP-Ratio bis 2016 auf 170% erhöht (Details dazu hier). Bei 6% Zinsen auf diese Staatsschuld zahlt Griechenland in 2016 dafür gut 10% seines BIP (davon übrigens deutlich mehr als die Hälfte davon ans Ausland!). Um das Haushaltsdefizit auf -3% zu reduzieren, muss Griechenland somit ein Haushaltsüberschuß vor Zinsen von 7% vom BIP erreichen. Nimmt man an, dass Griechenland heute 5% Zinsen zahlt, ergibt sich heute ein Haushaltsdefizit vor Zinsen von knapp 8% vom BIP. Griechenland muss sein Haushaltsdefizit vor Zinsen somit von heute -8% des BIP auf +7% des BIP in 2016 steigern!

Fazit

Derartige Sparanstrengungen sind eine Herkulesaufgabe sondergleichen. Nur zum Vergleich: das gesamte Steueraufkommen von Deutschland – und auch der USA – liegt bei gut 20% (näheres hier). Griechenland muss es also in den nächsten Jahren schaffen, durch Einsparungen und Steuererhöhungen 3/4 unseres gesamten Steueraufkommens zusätzlich zu erwirtschaften. Und dabei habe ich schon durchgehend sehr optimistische Annahmen verwendet. Und vor allem ist dann erst mal nur das Verhältnis Schulden zum BIP stabilisiert (bei 170%!), zum Abbau der Schulden sind weitere Einsparungen notwendig.

Vielleicht doch noch schnell griechische CDS kaufen?


Welche Folgen hätte ein griechischer Staatsbankrott für uns und den Euro?

18. Mai 2010

Ob Griechenland sich durch eigene Anstrengungen und mit Hilfe von EU und IWF noch vor der Zahlungsunfähigkeit retten und seine Schulden komplett bedienen kann, ist aktuell die zentrale Frage bei der Beurteilung der kurz-, mittel- und langfristigen Konjunktur- und Wachstumsaussichten.

Folgen eines griechischen Bankrotts

Falls Griechenland sich Bankrott erklären und zumindest einen Teil seiner Staatsschulden nicht mehr zurückzahlen würde, hätte dies verheerende Auswirkungen auf Wachstum und Wohlstand in Deutschland, im Rest Europas und darüber hinaus.

  • Die Risikoprämien anderer hochverschuldeter Staat (und Unternehmen) vor allem an der EU-Peripherie würden steigen und dadurch auch diese Staaten (und viele Unternehmen) an den Rand des Bankrotts bringen. Die dadurch notwendige, noch viel restriktivere Fiskalpolitik hätte negative konjunkturelle Wirkungen in den betroffenen Staaten selbst und durch Importrückgänge auch für die haushaltspolitisch (noch) weniger gefährdeten EU-Mitgliedern.
  • Vor allem deutsche und französische Finanzinstitute müssten erhebliche Abschreibungen auf ihre Bestände an griechischen Staatspapieren vornehmen und würden damit selbst z.T. bankrottgefährdet, müssten aber zumindest ihre Kreditvergabe einschränken und würden dadurch den negativen konjunkturellen Impuls verstärken
  • Die resultierende Unsicherheit hätte wiederum negative Auswirkungen auf Konsumneigung und Investitionen, insbesondere aus dem Ausland, was den konjunkturellen Abschwung weiter verstärken würde

Und was würde das für den Euro bedeuten?

Viel weniger als man bei der verbreiteten Rhetorik („wir müssen Griechenland helfen, um den Euro zu retten…“) vermuten würde.

Weder durch das aktuelle Rettungsprogramm noch durch einen griechischen Staatsbankrott erwarte ich einen substantiellen Anstieg der Inflation im Euroraum. Im Gegenteil, die Gefahr einer Deflation schätze ich vor diesem Hintergrund deutlich höher ein, sie wäre auch viel schwieriger zu korrigieren. Dazu werde ich demnächst noch detaillierter Stellung nehmen, aber die wichtigsten Gründe, die letztes Jahr schon galten, gelten auch hier und immer noch (Wird Inflation tatsächlich steigen?).

Der Außenwert des Euro dürfte in meinen Augen in diesem Szenario hingegen schon sinken. Eine deutlich niedrigeres Wachstum in Europa als im Dollarraum, sinkende Auslandsinvestitionen und dauerhaft geringe Zinsen werden u.a. dazu beitragen. Im übrigen gelten diese Faktoren auch alle – wenn auch abgeschwächt – angesichts der europaweit notwendigen staatlichen Konsolidierungsprogramme.

Dies ist allerdings m.E. alles andere als bedenklich. Zum einen haben wir ggü. dem Dollar noch Luft nach unten. Die Kaufkraftparität ist laut Sinn ca. 1,14. Und selbst bei einem Tiefkurs von 0,87 Dollar pro Euro war der Euro nicht gefährdet. Wie auch?
Und zum anderen hätte ein sinkender Euro positive Wirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit des Euroraums und würde den Konjunktureinbruch durch steigende Exporte (cp) mindern und die Erholung erleichtern.

Bei dem gigantischen Hilfsprogramm für Griechenland geht es also viel mehr um die die Rettung unserer Banken und Versicherungen und um die Vermeidung einer europaweiten Depression als um den Euro. Trotzdem ist es richtig und alternativlos.


Pharma-Pricing sollte in der Tat dringend reguliert werden, Chapeau Herr Rösler!

12. März 2010

Wohl in kaum einer Industrie gibt es kaum einen solch offensichtlichen Bedarf für regulatorische Preiskontrollen wie in der Pharmabranche. Und der Grund hierfür ist ebenso offensichtlich. Da neue Medikamente durch Patente vor Wettbewerb geschützt sind und Krankenkassen gleichzeitig gezwungen sind, jeden Preis für diese Medikamente zu zahlen, fehlt jedes Korrektiv, das Monopol- oder noch höhere Preise verhindern könnte.

Und konsequenterweise werden die Preise neuer Medikamente auch in den meisten europäischen Staaten staatlich reguliert. Nicht jedoch in Deutschland.

Und dies führt zu absurden Ergebnissen, für die der Lucentis/Avastin-Skandal ein sehr gutes Beispiel ist (hier eine ausführliche Version). Avastin ist ein Magenkrebsmedikament einer Novartistochter, bei dem 2000 festgestellt wurde, dass es sich auch hervorragend zur Heilung einer schwierigen Augenerkrankung (AMD) eignet. Da es für AMD kaum gute Arzneien gibt, wurde Avastin hierfür jahrelang sehr häufig eingesetzt.  Der Preis einer Dosis beträgt rund 25 €. Das Herstellerunternehmen hat jedoch inzwischen erfolgreich gegen den Einsatz des Krebsmedikamentes Avastin bei AMD geklagt und hierfür ein praktisch identisches Präparat herausgebracht, Lucentis. Der Preis von Lucentis: 1.500 € pro Dosis!!! Bei gleichen Herstellungskosten und praktisch ohne extra F&E-Aufwand.

Aber auch das hohe Preisniveau der Medikamente, die daraus folgende Profitabilität der Pharmabranche (Umsatzrenditen 2008: Boehringer 17,0%, Bayer 20,8%, Merck 8,4%), die Tatsache, dass deren Gewinne im Krisenjahr 2009 noch gestiegen sind, sowie Steigerungen der Medikamentenausgaben (in 2009 alleine 5,3%) deuten alle darauf hin, dass auch in Deutschland dringend eine Preisregulierung für patentgechützte Medikamente dringend erforderlich ist. Denn deren Überprofite zahlen wir schließlich alle.

Darum ist auch der Vorstoß von Gesundheitsminister Rösler (FDP) nur zu begrüßen, Zwangsrabatte zu erhöhen und Medikamentenpreise zukünftig zwischen Kassen und Pharmaherstellern aushandeln zu lassen. Auch wenn es nur ein erster Schritt sein kann. Es bleibt zu hoffen, dass hier mutig weitere Schritte folgen werden.

Chapeau, Her Rösler!


Spekulation ist weder schädlich noch sollte sie verboten werden, auch nicht bei griechischen CDS

8. März 2010

Im Zuge der griechischen Haushaltskrise ist vielfach die zerstörerische und gefährliche Natur von Spekulation gegen den griechischen Staat beklagt worden. Merkel und Sarkozy wollen die Spekulation mit den griechischen Schulden eindämmen,  die SPD will sie schlicht beenden (was auch immer das heißen soll…) und selbst sonst eigentlich sehr kenntnisreiche Blogger wie Valuation in Germany nennen derartige Spekulationen grundsätzlich gefährlich. Dabei geht es eigentlich um die sogenannten CDS (Credit Default Swaps), mit denen sich ein Gläubiger gegen den Zahlungsausfall seiner Kredite versichern kann, die Debatte trägt aber häufig deutlich breitere Züge und adressiert Finanzspekulationen generell.

Wie wirkt CDS-Spekulation?

Unstrittig ist, dass CDS eine sehr sinnvoll Funktion ausüben können, wenn sie von den Gläubigern selbst gehalten werden, da diese Käufer eines CDS im Falle eines Kreditausfalles vom CDS-Verkäufer entschädigt werden. Sie können sich auf diese Weise sehr einfach versichern und  müssen nicht etwa bei steigender Unsicherheit ihre Staatsanleihen verkaufen. Umstritten ist hingegen, wie nützlich oder schädlich CDS sind, die von Investoren gekauft werden, die gar keine griechischen Staatsanleihen besitzen. Ein solcher Kauf wird auch mit der Wette auf den Brand eines fremden Hauses verglichen.

Schädlich soll dies vor allem deswegen sein, weil derartige CDS-Käufe es angeblich für Griechenland schwieriger machen, neue Gläubiger zu finden. Dieses Argument ist jedoch nur sehr bedingt valide. Werden CDS vermehrt von Spekulanten gekauft, die einen Zahlungsausfall erwarten, steigt der Risikoaufschlag, den Griechenland für seine neuen Emissionen zahlen muss. Dies ist allerdings per sé noch keine Verzerrung des Marktes, da auch Spekulanten nicht mehr für CDS zahlen würden als sie bei der marktdeterminierten Zahlungsausfallwahrscheinlichkeit wert sind. Überschätzen die Käufer aka Spekulanten das Ausfallrisiko, machen sie Verlust. Nur weil „leere“ Käufe von CDS möglich sind udn vorgenommen werden, heißt das also noch lange nicht notwendigerweise, dass Griechenland mehr für seine Staatsschulden zahlen muss als wenn diese Handelsform nicht möglich ist.

Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass es für jeden Käufer eines CDS, der auf Zahlungsausfall wettet, einen Verkäufer als Gegenpartei gibt, der entsprechend darauf wettet, dass Griechenland seine Schulden zurückzahlen kann. Diese „Verkäufer-Spekulation“ findet übrigens auch dann statt, wenn der Käufer einen gedeckten CDS kauft, also tatsächlich griechische Staatsschulden besitzt.

Wirklich gefährlich wird es nur, wenn Spekulanten in einer Art selbsterfüllender Weise den Markt verzerren können. Etwa indem sie in solchen Mengen CDS kaufen und den Preis hochtreiben, dass dies die Kreditkosten für Griechenland untragbar teuer macht, die Sanierung des Haushaltes noch mehr erschwert oder potentielle Investoren verschreckt, so dass Griechenland tatsächlich wegen der Spekulation zahlungsunfähig wird. Derartige Auswirkungen spekulativer Attacken sind aber zum einen extrem unwahrscheinlich – und haben auch bisher bei Griechenland nicht funktioniert – und sind zum anderen sehr leicht durch glaubwürdige Eingriffe und Garantieerklärungen des IWF, der EU oder großer EU-Staaten zu entschärfen.

Oder um dies mit einem kleinen Rechenbeispiel zu verdeutlichen: nehmen wir an, dass der Preis der CDS aufgrund der Spekulation um 50-100 Basispunkte steigt, die Zinsen sich also um 0,5-1% erhöhen, was ein unrealistisch hoher Einfluss wäre. Dann würde dies Griechenland bei einem Schuldenstand von gut 100% des BIP etwas mehr als 0,5-1% des BIP kosten. Im Vergleich zum aktuellen Haushaltsdefizit von 12,6% des BIP wäre das überschaubar. Die krisenverschärfende Wirkung von Spekulation ist also selbst im pessimistischsten Szenario eher gering.

Aber hat Spekulation denn einen Nutzen?

Spekulation hat eine ganze Menge nützlicher Funktionen: sie ermöglicht Absicherungen gegen eine Vielfalt von Risiken und steigert die Marktliquidität, verschafft den Märkten zusätzliches Kapital und Akteure, die bereit sind, Risiken zu übernehmen. Der entscheidende Vorteil, auch in diesem Kontext, ist jedoch die disziplinierende und transparenzschaffende Funktion. Durch die Möglichkeit, auf alle möglichen und unmöglichen finanziellen Ereignisse wetten zu können, werden die Markteinschätzungen der jeweiligen Preise und Wahrscheinlichkeiten für alle Marktteilnehmer sehr transparent. Es ist daher den Akteuren kaum mehr möglich sich diesem Feedback des Marktes zu entziehen ohne entsprechend bestraft zu werden. Und diese Anreize für eine nachhaltige Haushaltspolitik sind gerade auch in Zeiten hoher Staatsdefizite ein nicht zu unterschätzender Vorteil.

Wie sollten CDS denn reguliert werden?

Die bisher unregulierte Natur von CDS ist natürlich schon ein Problem. Anstatt an transparenten, klaren Regeln unterworfenen Börsen werden diese vorwiegend per email oder Messenger gehandelt. Das muss sich natürlich ändern. Auch das „too big to fail“-Problem hat eine Relevanz für Derivate-Spekulation, wenn gehäuftes Exposure auftritt, und sollte entsprechend sauber reguliert werden. Und im Falle einer Spekulationsattacke könnte es auch sinnvoll sein, den Handel mit CDS zeitweilig auszusetzen bis sich die Märkte wieder beruhigt und zu fundamental gerechtfertigten Werten zurückgekehrt sind.

Ein generelles Verbot von Spekulation oder bestimmten Derivaten ist jedoch genauso unsinnig wie die Beschränkung auf Käufer, die das Underlying Asset besitzen. Abgesehen davon, wie ökonomisch unsinnig und falsch derartige Eingriffe wären, sie würden auch nur begrenzt wirken, wie Thomas Mayer, Chefvolkswirt der Deutschen Bank mit einer sehr anschaulichen Metapher beschreibt: „Das ist ungefähr so, wie wenn Sie eine Staumauer in einem Fluss bauen. Dann lenken Sie das Wasser ab und dann drückt es gegen andere Bereiche und führt dann womöglich dort zum Dammbruch.“


Die Debatte um höhere Inflation ist nicht gefährlich, sie sollte dringend geführt werden!

2. März 2010

In der Debatte um einen möglichen Anstieg der Inflation werden die Beiträge immer skuriler. Nachdem jetzt auch der IWF angeregt hat, über die Vor- und Nachteile höherer Inflationsraten nachzudenken, bedient Spiegel Online die klassischen deutschen Anti-Inflationsressentiments und treibt die Diskussion auf die Spitze („Gefährliche Debatte über billiges Geld – Inflation zerstört die Demokratie„):  diese Debatte sei gefährlich, sie spiele mit der Gesellschaftsordnung insgesamt, das Wertesystem der Gesellschaft gerate ins Rutschen, die Folgen seien unabsehbar, es ginge um das Vertrauen in die Demokratie.

Spon-Kommentartor H. Müller nennt im wesentlichen zwei Begründungen für seine Doomsday-Prognosen. Erstens argumentiert Müller, dass Inflation undemokratisch und unfair ist. Und zweitens, und das ist sein zentrales Argument, führt Inflation grundsätzlich zu einem Rückgang des Vertrauens in Institutionen, den Staat und die Demokratie, da diese Inflation quasi monopolistisch kontrollieren würden.

Ersteres stellt tatsächlich einen validen Nachteil von Inflation dar. Inflation ist in der Tat eine ungerechte Steuer, da die Höhe des Bargeldbesitzes als determinierender „Steuertatbestand“ ein eher willkürliches Kriterium für Besteuerung ist. Und ja, da Inflation im wesentlichen von der Zentralbank und nicht im Parlament entschieden wird, ist sie auch nicht demokratisch.

Allerdings dürften diese Effekte bei der jetzt diskutierten Erhöhung der Zielinflation auf 4% oder auch 5-6% praktisch nicht ins Gewicht fallen. Es gibt auch andere Steuern, deren Kriterien wenig systematisch sind und bedeutend höhere Einnahmen einbringen. Und Geldpolitik ist aus guten und bewährten Gründen in unabhängige Hände gelegt und dem Zugriff von Politikern entzogen worden.

Das zweite Argument Müllers ist jedoch vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion verfehlt. Müller verwechselt hier schwankende oder überraschende Inflation mit einer klar kommunizierten, von allen erwarteten Zielinflation. Galoppierende, nicht mehr zu kontrollierende Inflation würde sicher Staat und Demokratie beschädigen. Eine Erhöhung der Zielinflation auf 4% sicher nicht. Eine solch geringe Inflationsveränderung wird kaum bemerkt. Wie schwierig das tatsächliche Tempo des Preisanstiegs im Alltag einzuschätzen ist, zeigt die Erfahrung der Euro-Einführung. Obwohl die gefühlte Inflation damals mindestens zweistellig war, sind die Preise tatsächlich nicht mehr gestiegen als vorher auch.

Eine derartig transparente Inflation enteignet auch nicht „schleichend“, da sich alle darauf einstellen können, zumindest bei neuen Verträgen.

Für die Panikmache von Müller gibt es also keinerlei stichhaltige Begründungen. Abgesehen davon blendet Müller praktisch alle, der durchaus bedenkenswerten Vorteile aus, die ein geringer, kontrollierter und gut kommunizierter Anstieg der zu erwartenden Inflation mit sich bringen würde. Diese Vorteile rechtfertigen es sehr wohl, dass das Paradigma der 0-2%-Inflation in Frage gestellt und neu durchdacht wird.

Kategorische, fast schon ideologische Denkverbote bringen hier nichts. Guter Qualitätsjournalismus ist etwas anderes. Oder wie Brad deLong sagen würde: Why oh why cant’t we have a better press corps?


Politiker-Fauxpas des Tages: Beate Merk (CSU) – Findet, dass sexuelle Freizügigkeit zu sexuellem Missbrauch führt

1. März 2010

Was ist passiert?

Die Häufung des sexuelle Missbrauchs durch katholische Geistliche nicht nur in Deutschland sondern auch international, vor allem in Irland und den USA ist inzwischen intensives Diskussionsthema.

Während moderate Theologen angesichts der enormen Missbrauchshäufung gerade unter katholischen Würdeträgern auf den offensichtlichen Zusammenhang mit katholischer Sexualmoral und -ethik hinweisen (beispielsweise Küng, Theologieprofessor), erklärt der Augsburger Bischof Mixa dazu: “Die sogenannte sexuelle Revolution, in deren Verlauf von besonders progressiven Moralkritikern auch die Legalisierung von sexuellen Kontakten zwischen Erwachsenen und Minderjährigen gefordert wurde, ist daran sicher nicht unschuldig.“ (siehe hier zu in der SZ)

Und was macht die gute Frau Merk?

Und Beate Merk, ihreszeichens bayerische Justizministerin und stellvertretende CSU-Vorsitzende lobt diese Äußerungen („weil uns jede öffentliche Diskussion weiterbringt und den Opfern hilft“) und erklärt dazu, sie sehe in den Worten Mixas „…keine unglückliche Formulierung, sondern den Versuch einer Erklärung“. (siehe hierzu in der SZ)

Und warum hat Frau Merk dafür den Politiker-Fauxpas des Tages verdient?

Mixas Äußerungen deuten offensichtlich auf ein vollkommen falsches und unzeitgemäßes Verständnis der Zusammenhänge hin und verhöhnen darüber hinaus die Opfer.

Alles andere als eine vollständige Verurteilung dieser katastrophalen Statements verdient daher den Politiker-Fauxpas des Tages. Auch wenn es schon ein paar Tage her ist.


Politiker-Fauxpas des Tages: Julia Klöckner (CDU) – Findet, dass es reicht, wenn sie die Hälfte der Zeit für ihr Gehalt arbeitet

26. Februar 2010

Was ist passiert?

Julia Klöckner, Parlamentarische Staatssekretärin im Verbraucherschutzministerium ist designierte Spitzenkandidatin der CDU für die Landtagswahl im Frühjahr 2011 in Rheinland-Pfalz.

Und was macht die gute Frau Klöckner?

Sie erklärt in einem Interview, dass sie sich in Zukunft nur noch jede zweite Woche in Berlin ihrem Job als Parlamentarische Staatssekretärin im Verbraucherschutzministerium nachgehen will. Und in den anderen Wochen will sie sich in Rheinland-Pfalz um den Landtagswahlkampf kümmern. (siehe z.B. in der Süddeutschen)

Und warum verdient sie dafür den Politiker-Fauxpas des Tages?

Einem recht üppig bezahlten Job als Parlamentarische Staatssekretärin für das komplette nächste Jahr nur die Hälfte der Zeit widmen zu wollen, ist schon eine Unverschämtheit. Aber dies auch noch öffentlich bekannt zu geben, ist ein sehr würdiger Politiker-Fauxpas des Tages!


Politiker-Chapeau des Tages: Rainer Speer (SPD), Innenminister des Landes Brandenburg

25. Februar 2010

Was ist passiert?

Die Polizei des Landes Brandenburg, deren oberster Dienstherr Rainer Speer als Innenminister ist, ist personell um rund 20% überbesetzt. So gibt es in Brandenburg rund 8.900 Polizisten bei ungefähr 2,5 Mio. Einwohnern. D.h., es gibt ungefähr einen Polizisten für rund 280 Einwohner.

Zum Vergleich, im benachbarten Niedersachen gibt es nur einen Polizisten pro 345 Einwohner und in Bayern einen pro 333 Einwohner (Quelle: Wikipedia).

Und auch um Gesundheit, Fitness und Motivation der Polizisten in Brandenburg scheint es nicht sonderlich gut bestellt zu sein. Während die Polizisten dort im Schnitt 32 Tage pro Jahr krank sind, fehlt ein bayerischer Polizist nur 13 Tage im Jahr.

Und was macht der gute Herr Speer?

Er weist konsequenterweise auf diese Ineffizienz der Polizei in Brandenburg im Vergleich zu anderen Ländern hin und plant 1.900 Stellen zu streichen, also gut 20%. Und um den Krankenstand seiner Polizei zu verbessern, empfiehlt er seinen Beamten sich besser fit zu halten. (siehe hierzu den Tagesspiegel)

Und warum verdient er dafür den Politiker-Chapeau des Tages?

Sparen ist für Politiker immer schwer. Man macht sich unpopulär und schafft sich Feinde. Darum kann ein so konsequentes, an der Sache orientiertes und nach der richtigen Lösung strebendes Vorgehen wie von Speer kaum hoch genug eingeschätzt werden.

Und solch unpopuläres Sparen ist umso schwieriger, wenn es tendenziell eher die eigene Klientel trifft. Sparen bei „den Anderen“ ist natürlich einfacher. Sich als SPD-Politiker mit der Gewerkschaft der Polizei anzulegen, ist daher einen extra Chapeau wert.

Und dann hat Speer auch noch Humor. Als Polizisten als Greise verkleidet und im Rollstuhl sitzend gegen die Überalterung der Polizei protestieren, ist sein Kommentar: „Wer so aussieht, hat etwas falsch gemacht im Leben. Oder er hat zu viel auf Gewerkschaftskongressen gefeiert.“

Chapeau, Herr Speer!


Der IWF sagt, Zentralbanken sollten mehr Inflation zulassen. Wirklich?

24. Februar 2010

Der IWF-Chefökonom Olivier Blanchard hat am 12. Februar zusammen mit Giovanni Dell’Ariccia und Paolo Mauro ein sehr kontroverses Papier auf die Homepage des IWF gestellt, indem die Konsequenzen aus den Erfahrungen der Subprime-Finanzkrise für den makroökonomischen Grundkonsens gezogen werden.

Vieles in diesem Papier dürfte in der Tat recht konsensuell sein. Aber nicht alles. Und speziell eine Überlegung ist besonders brisant. So rüttelt Blanchard an einer der Grundfesten der orthodoxen Makroökonomie: einer optimalerweise anzustrebenden Zielinflation von ungefähr 2%. Die Autoren stellen die Frage, ob nicht stattdessen eine Zielinflation von 4% sinnvoller ist, da sie mehr Spielraum für eine expansive Geldpolitik bietet, wenn diese als Reaktion auf ökonomische Schocks notwendig ist.

Vorteile höherer Inflation

Bei einer geringeren Inflation sind die Nomialzinsen geringer, und dadurch auch der Zinssatz, zu dem sich die Banken von der Zentralbank Geld leihen können. Diesen Zins können Zentralbanken absenken, um in Krisenzeiten die Wirtschaft durch billigeres Geld zu stützen. Und je stärker die Zentralbanken ihre Zinsen senken, desto größer die geldpolitische Stützungswirkung. Allerdings ist der Senkungesspielraum für die Zentralbanken begrenzt, denn der Nominalzins kann nicht geringer als null sein. Bei höherer Inflation erhöht sich daher der Spielraum der Zentralbanken und steigert sich die Wirksamkeit von geldpolitischen Konjunkturhebeln in Krisenzeiten. Diese Zusammenhänge kann man sich leicht mit Hilfe der Taylor-Regel verdeutlichen.

Daneben gibt es weitere Argumente für eine höhere Zielinflation. Paul Krugman nennt zum einen Nominallohnrigiditäten. Aus verschiedenen Gründen kommt es praktisch nicht vor, dass Nominallöhne sinken. Höhere Inflation ermöglicht es daher deutlich einfacher, dass sich Reallöhne nach unten anpassen, ohne dass Nominallöhne sinken müssen.

Zum anderen ist auch die Konvergenz von Preissteigerungsraten innerhalb der EU vor allem für die stabileren Länder deutlich einfacher, wenn die Grundinflation ein wenig höher ist. Bei sehr geringen Inflationsraten wäre ansonsten Deflation die fast unausweichliche Folge.

Auch wenn das IWF-Papier nicht die Forderung nach einer höheren Zielinflation erhebt, alleine schon diese Frage zu stellen ist für viele Ökonomen fast schon ein Sakrileg. Gerade in Deutschland scheut man vor dem Hintergrund der großen Inflation 1923 und dem Zusammenbruch der Reichsmark am Ende des dritten Reiches Inflation wie der Teufel das Weihwasser. Die negativen Reaktionen auf den IWF-Vorschlag gerade aus Deutschland und der EZB haben entsprechend auch nicht lange auf sich warten lassen.

Dieses Papier vertritt zwar ausdrücklich nur die Meinung der Autoren und nicht die des IWF, aber der prominente Platz auf der Homepage in der Rubrik Highlights deutet darauf hin, dass dies ein abgestimmter Versuch des IWF ist, diese Diskussion zu starten.

Aus meiner Sicht gibt es sehr viele Argumente und gute Gründe auf beiden Seiten, die in der Tat sorgfältig abgewägt werden sollten. Pawlowsche Reflexe sind hier völlig fehl am Platz.

Die Nachteile und Kosten höherer Inflation

Auf der Negativseite muss man zwischen den allokativen Kosten von Inflation und den (ungewollten) Verteilungswirkungen unterscheiden.

Die allokativen Kosten entstehen durch Verzerrungen der relativen Preise, die unterschiedlich häufig ans aktuelle Preisniveau angepasst werden, durch die Kosten der Anpassung und durch den Aufwand, die Verteilungswirkungen der Inflation zu vermeiden. Insgesamt muss jedoch gesagt werden, dass derartige Kosten für einstellige Inflationsniveaus kaum eine Rolle spielen.

Erheblich bedeutsamer sind die Verteilungswirkungen, von denen vor allem zwei Arten entscheidend sind.

Einerseits die sogenannte Inflationssteuer, die entsteht, wenn durch Inflation die Haltung von Bargeld teurer wird, da Bargeld an Wert verliert. Auf der anderen Seite landen die Einnahmen in Form von Seignorage bei dem Emittenten des Bargelds, also bei der Zentralbank, die diesen Gewinn wiederum an den Staat abführt. Daher wirkt Inflation wie eine Steuer, nur dass es eine sehr ungerechte Steuer ist, da sie an keine Kriterien wie etwa Leistungsfähigkeit geknüpft ist, sondern mehr oder weniger zufällig jeden in Ausmaß seines Bargeldbestandes trifft.

Die wichtigsten Verteilungswirkungen von Inflation entstehen jedoch, wenn Inflation sich unerwartet verändert. Und genau das ist der Fall, wenn die Zentralbanken ihre Zielinflation von 2 auf 4% anheben.

Von derartigen Verteilungswirkungen sind alle langjährigen Verträge mit Nominalwerten betroffen, die in der Erwartung von ungefähr 2% Inflation geschlossen wurden. Denn bei einer Inflation von 4% hätten bei gleichen realen Preisgestaltungen andere Nominalwerte vereinbart werden müssen. So müssen z.B. Schuldner mit festen Zinsen real weniger für Zins und Tilgung ausgeben und Gläubiger erhalten real entsprechend weniger, wenn Inflation auf 4% steigt.

Und jetzt?

In der Tat sind die Argumente für eine leicht höhere Zielinflation schlagkräftig. Und deren zusätzliche Kosten mit Ausnahme der Verteilungswirkungen des Übergangszeitraums überschaubar.

Sollten sich Zentralbanken also dazu entschliessen, ein wenig mehr inflation zuzulassen, müsste der Übergang sehr sorgfältig vorbereitet und langfristig kommuniziert werden.

Bis es soweit kommt wird es angesichts gerade der deutschen Inflationsphobie allerdings noch lange, lange dauern. Wenn überhaupt. Schade.


Politiker-Fauxpas des Tages: Ralf Stegner (SPD) – Findet, dass er Geld behalten darf, wenn es zu spät ausbezahlt wird

24. Februar 2010

Was ist passiert?

Ralf Stegner war während seiner Amtszeit als Finanz- und Innenminister in Schleswig-Holstein von 2003 bis Anfang 2008 Mitglied des Aufsichtsrates der HSH Nordbank.

Dies ist ziemlich genau die Zeit, in der sich die HSH die katastrophalen Geschäften eingegangen ist, die sie jetzt zu einer finanziellen Belastung ohne Gleichen für die Länder Schleswig-Holstein und Hamburg machen. Stegner wusste Bescheid und hätte in dieser Zeit im Aufsichtsrat alles verhindern, aufdecken oder anprangern können. Hat er aber nicht. Haben auch viele andere nicht. Bei der HSH Nordbank nicht und anderswo auch nicht. Insofern ist diese Episode zwar kein Ruhmesblatt für den guten Herrn Stegner, insbesondere da es um seine Kompetenzen nicht wirklich gut bestellt zu sein scheint, wie Verlorene Generation berichtet, aber sie reicht nicht für den Politiker-Fauxpas des Tages aus. Dafür haben, wie gesagt, zu viele ähnlich versagt.

Für diese Aufsichtsratstätigkeit bekam Stegner natürlich Tantiemen. Da er jedoch sein Aufsichtsratsmandat qua seines Amtes ausführt, darf er davon aber nur einen Anteil behalten und muss den Rest an die Landeskasse abführen.

Konkret hat Stegner für das Jahr 2007 laut Focus Online 14.375 € plus MWSt. bekommen.  Davon hätte er 5.500 € behalten dürfen.

Und was macht der gute Herr Stegner?

Für die Jahre 2003-2006 hat Stegner diese Differenz brav an die Landeskasse überwiesen. Nicht jedoch für 2007. Die Rechnung für 2007 hat er erst im Mai 2008 gestellt, nachdem er aus dem Amt als Innenminister ausgeschieden war.

Und daher, so argumentierte er schriftlich, dürfe er die gesamten Bezüge behalten, denn es sei nicht entscheidend, für welchen Zeitraum die Tantiemen gezahlt werden, sonden wann sie ausbezahlt werden.

Und warum verdient er dafür den Politiker-Fauxpas des Tages?

Aus drei Gründen.

Erstens ist dies ein erschreckender Fall von Selbstbedienungsmentalität. So komisch kann Stegners Rechtsempfinden gar nicht sein, dass er tatsächlich denkt, er könne den Anteil des Landes behalten, nur weil dieser später überwiesen wird.

Zweitens ist Stegners Erklärung für diesen Vorfall gelinde gesagt merkwürdig. Stegner behauptet, er sei aus den Ministerien falsch beraten worden, allerdings ohne die Namen seiner „Ratgeber“ zu nennen. Wie angesichts der klaren Sachlage kaum verwunderlich, war dieser „Rat“ zudem offensichtlich falsch, denn Stegner hat inzwischen die Differenz ans Land gezahlt.

Und drittens hat Stegner Paralleln zwischen den an ihn gerichteten Vorwürfen und denDiffarmierungen und Unterstellungen Barschels über Engholms angebliche Steuerhinterziehungen gezogen. Stilloser geht es kaum.